Psycho-News-Letter Nr. 88 : ... Vor der Tür
Sehe ich in diesen Herbsttagen nach draußen, leuchtet mir ein Ginko-Baum mit gelbgefärbten Blättern entgegen, die sich in schönstem Kontrast vor einem leuchtenden Himmelsblau auszeichnen. So schön strahlend in intensiver Farbe, dass man am liebsten Himmel und Erde zugleich umfassen möchte. Oder sollte ich lieber von einem Umfasst-Seinwollen sprechen? In dieser Wahrnehmungsmodalität ist das eine nicht vom anderen zu unterscheiden, das aktive Umfassen nicht vom Umfasst-Sein. Ist das eine deshalb männlich, wäre das andere als weiblich zu bezeichnen? In diesem Licht des schönen Herbstes entschwinden die kategorialen Trennungen und heben sich auf, wir geniessen die unendlichen Weiten, wie Michael Balint vielleicht formuliert hätte, weil wir uns in ihnen und sie sich in uns aufheben. Niemand käme auf die Idee, dass „draußen vor der Tür*, wie einst ein jugendwichtiger Buchtitel von Wolfgang Borchert lautete, der Herbst anzutreten hätte und dass die Wetterfrösche einen sehr kalten Winter angesagt haben, nur weil fleißige Eichhörnchen eilig Futterstellen anlegen und größere Sammelwut zeigen. Das ist wohl eher den Menschen nachempfunden, die ihrerseits angesichts gewaltiger Schuldenberge sich wie die Eichhörnchen verhalten und zusammenhalten, was sich zusammenhalten lässt angesichts der irrsinnigen Zerstreuungs- und Fragmentierungskräfte dieser Zeiten. Der Sommer hatte schon seinen Einsatz verpasst. In der Musik wäre das, jedenfalls bei öffentlicher Aufführung, ein Grund, jemanden vor die Tür, aus Taktmangel, zu schicken. Wir aber halten an der Idee der Wiederkehr fest, wenigstens der Wärme.
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