Sehnsucht nach Ursprung und Katastrophe : Dynamiken im Antisemitismus
Ausgehend von der Irritation über die Präsenz religiöser Motive in den Reden verschwörungsideologischer rechter Akteure in Cottbus folgt diese Studie dem Motiv des Ursprungs durch diverse Schriften von Sigmund Freud, Paul Tillich, Klaus Heinrich und anderen. Die Auseinandersetzung mit den Freudschen Ursprungsgeschichten bildet dabei den Rahmen für die Überlegungen der Arbeit. Insbesondere in „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ (1939a) entwirft Freud eine faszinierende Skizze für eine Theorie der unbewussten Dynamiken im Antisemitismus. Zentral ist dabei sein Entwurf eines mythischen Ursprungs der menschlichen Kultur: Das Verdrängte des Ursprungs – seine Leere – gibt dem gattungsgeschichtlichen Prozess eine Hypothek auf, an der die Menschheit bis heute laboriere. Der Antisemitismus ist der ultimative Versuch, dieses schwere Erbe, das der Prozess der Zivilisation selbst ist, ein für allemal hinter sich zu lassen. Mithilfe von Paul Tillichs Schrift „Die sozialistische Entscheidung“ (1932) und Klaus Heinrichs Vorlesungen über die Schriften Martin Heideggers untersuche ich das Motiv des Ursprungs weiter, stets der Annahme folgend, dass sich hier etwas von den unbewussten Dynamiken in Subjekt und Kultur verdichtet, die zum Antisemitismus drängen. Am Ende der Arbeit beziehe ich die bis dahin entwickelten Gedanken auf Freuds Überlegungen in „Jenseits des Lustprinzips“ (1920g) sowie auf die anderer psychoanalytischer Autor:innen, die Freuds Theorie vom Todestrieb weiter gedacht haben. Vor dem Hintergrund dieser Theorien vom Todestrieb und der Freudschen Fassung des Ursprungs/der Ursprünge, sowie im Kontrast zu dem, was Heideggers Ursprungsmotiv meint, wird die komplexe Triebdynamik des Ursprungs und ihre Verbindung zum Antisemitismus deutlich.
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